Der Cowboy und die Meise
Überlegungen zu einer Betrachtungsanleitung
von Miriam Kathrein
Näher. Noch ein Stückchen näher. Ein wenig zur Seite. Näher ran. Den Blick gerichtet auf das Bild, die Malerei. Der Schatten der Betrachter*in legt sich über das Gemalte. Nochmals zur Seite treten. Der Schatten bleibt. Er bewegt sich, aber bleibt. Von hinten leuchtet ein Diaprojektor die Bilder aus, überlagert sie mit Found Footage und persönlichen Fotografien. Die Betrachter*in kommt sich selbst nicht aus, wenn sie das Werk betrachten und ergründen will, wie Pinselstriche so präzise sein können, wie etwas Schwarz-Weißes bunt und etwas Farbiges so entsättigt wirkt, Schicht um Schicht um Schicht.
Der Schatten wird in dieser Konstellation zu einer weiteren Lasur – einer zusätzlichen Schicht. Es ist die Einzige, die vom Künstler Drago Persic nicht konkret positioniert werden kann und die dennoch einen intendierten, dazugehörenden Teil im Aufbau des gemalten Kunstwerks bildet. Das gesamte Gemalte setzt er mit Absicht zwischen die Prinzipien von subtraktiven und additiven Farbsystemen – als plakative Geste seines künstlerischen Fokus auf das Zusammenspiel von unlöslichen Farbmitteln, Maltechniken und Materialitäten.
Die Spannungsfelder von – zumeist vermeintlichen – Gegensätzen interessieren Persic zutiefst. In seiner malerischen Praxis ergründet er das Barocke im Minimalistischen, das Skulpturale in der Malerei, das Fotorealistische im Handgemalten, das Filmische in einem statischen Medium. Dabei verlangt der Künstler ein genaues Hinsehen und lenkt den Blick exakt dorthin, wo er ihn haben möchte. Er verringert dadurch die Distanz von der Betrachter*in zum Kunstwerk – entgegengesetzt zur üblichen Museumssituation, in der ein weiter Abstand zu den Kunstwerken verlangt wird, sei es aus Sicherheitsgründen, zur Verhinderung von Vandalismus oder Beschädigung, oder zur symbolischen Erhöhung des Kunstwerks an sich. Seine Herangehensweise hingegen lässt zu, dass die betrachtenden Personen die malerische Praxis nachzuvollziehen können– wie der Künstler sich minutiös Strich für Strich und Schicht um Schicht an sein Werk herangearbeitet hat. Persic scheut nicht davor zurück, seine obsessive Faszination für das Verhalten der Farben und Lasuren, der Bindemittel und Pigmente offenzulegen.
Bei den Arbeiten der Reihe Siva Boja gibt der Künstler einen völlig transparenten Einblick in den malerisch-technischen Prozess. Denn auch wenn die Betrachter*in das Gefühl beschleicht, dass– laienhaft bemerkt –, dieses Grau kein simples Grau und das Schwarz hier schon gar nicht ein schlichtes Schwarz sein kann und was ein Grün denn zur Sache tut, so wird erst im Akt der Preisgabe von verwendetem Pigment und Farbindex deutlich, wie sehr das handwerkliche Wissen der Malerei die eigentliche Protagonistin der Werke ist. Das Grün der Grünen Erde, als Lasur oder Untergrund, um weiße Hautfarben darstellen zu können, oder das Mischverhältnis verschiedener „farbiger“ Pigmente, die ein buntes Schwarz und ein facettenreiches Grau entstehen lassen – sie werden zur zentralen Figur und stellen sich über die figurative Rolle der Motive. Auch bei den Arbeiten mit Falten und Vouten ist die Absicht des Künstlers dieselbe. Zwar stehen die textilen Objekte nun im Vordergrund, herausgelöst aus dem Hintergrunddasein eines Stilllebens. Doch diese Position wird von den drapierten Stoffbahnen sofort wieder aufgegeben. Es sind die Falten, Schattenwürfe und Lichtreflexe der Stoffbeschaffenheit, deren Malbarkeit Persic mit präzisem Einsatz von Pigmenten und Bindemitteln ergründet.
Im Werkzyklus Der Cowboy und die Meise gilt der Bildinhalt der Dekonstruktion von vorhandenem visuellem Material, wie Filmstills aus dem Film noir, Fotografien und Dias aus persönlichen Archiven, Flohmarktfunden oder (speziell in dieser Ausstellung) Malereien von Angelika Kaufmann. Was die Ausschnitte verbindet, sind der formal ähnliche Aufbau von Gesten und kurzen unauffälligen Handlungsausschnitten: die banale Annäherung einer Hand an eine Haarspraydose, die emotionale Berührung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Protagonisten*innen oder kürzeste Momentaufnahmen innerhalb von Bewegungssequenzen, die eine aufgeladene Stimmung vermuten lassen. Diese Szenen dienen der Bearbeitung und werden so lange dekonstruiert, bis sich für den Künstler ein befriedigender Farbaufbau ergibt, der das Triviale zum Symbolischen und zurück zum Allgemeinen erstrahlen lässt.
Das Außergewöhnliche der Arbeiten ist, dass sich Drago Persic bewusst dafür entschieden hat, eine Umkehr stattfinden zu lassen – nämlich die Malerei und das Abgebildete als Werkzeug zu behandeln und seinen Händen und dem eingesetzten Malwerkzeug den Platz des Mediums zuzuweisen.
Ein weiteres Mal nahe herantreten. Die Hand, mit einem Lederhandschuh bekleidet, führt die kleine, weiße Maus. Locker, aber kontrolliert gehalten an einem dünnen Bindfaden. Jederzeit bereit dazu, die feine Verbindung fester zu halten, sollte das Tier fliehen wollen. Das Leder der Handschuhe ist durch die lange Nutzung bei der harten Arbeit im Viehtrieb bereits weich geworden. Wo der Handschuh normalerweise die Hände vor Blasen schützt, die das Lasso ansonsten unerbittlich in die Hautfalten zwischen Daumenwurzel und Handmitte treiben würde, scheint er in dieser Situation unpassend grob. Die Maus entkommt nicht. Der Schatten auch nicht. Nur die Meise, die ist weg.
Published 2022
salon angelika
Gegenwartskunst im Angelika Kauffmann Museum Schwarzenberg