ÜBER KÖRPER UND TUCH IN DEN GEMÄLDEN VON DRAGO PERSIC
Synne Genzmer
Das Verhältnis von Körper und Tuch, Leib und Gewand, Mensch und Bekleidung ist vielfältig. In der Kunstgeschichtsschreibung diente es häufig als Kriterium des Stils und mithin der Begründung einer Chronologie, die es in Folge ermöglichen sollte, Kunstwerke zeitlich und geografisch einzuordnen. Wie eng ein Stoff einen Körper umhüllt, ob dieser die darunterliegende Anatomie sichtbar werden lässt oder sich verselbstständigt, ob das Kleid auf lebendige Weise die Figur nachzeichnet, sich dieser anpasst, sie betont oder ein künstliches Eigenleben führt, sei dies als starrer Block oder in dynamischen Wirbeln eine eigene Form behauptend: Die Frage von Distanz und Nähe zwischen Körper und Tuch hat mit der Zuordnung eines Bildobjekts zu einem Kulturraum, einer Epoche, einem geistesgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Kontext jedenfalls zu tun. In den Gemälden von Drago Persic sind zu diesem so skizzierten Verhältnis einige bemerkenswerte Finessen zu entdecken, die uns auf die Ambivalenzen hinweisen, welche sich auftun, wenn es um die Verhüllung des Körpers geht. Auch wenn es sich meist nicht um Abbildungen menschlicher Körper handelt, die von einem Stück Stoff bedeckt werden, spielt der Künstler in seinen Kompositionen anhand des Tuchs als Motiv mit dem Verhältnis von Sichtbarkeit, Ähnlichkeit und Lesbarkeit, die auch den menschlichen Körper betreffen, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil dieser meist absent ist. Persic stellt mit seiner Kunst unter zeitgenössischen Vorzeichen die Frage nach der Autonomie des Gemalten im beständigen Konflikt mit der Repräsentationsfähigkeit des Trompe l’oeil, den er mit einer gewissen anachronistischen Haltung in allen Nuancen des SchwarzWeißGrau aufgreift. Vielleicht ist es das Zelebrieren eines Verlusts, das seiner Malerei Anziehungskraft verleiht und aus der sich ein noch unerschöpfter, reichhaltiger Vorrat an Sinnbildern generiert.
Im Bild Ohne Titel von 2012 (S. 22 / 23) sind auf einer raumlosen weißen Fläche vier Sessel zu sehen, je von einem Tuch bedeckt: Die monochromen Stoffe lassen nur eine vage Silhouette unter dem Faltenwurf erkennen, denn die Sicht auf die Objekte ist schlicht verdeckt. Schauen wir genauer hin, ist die Form des hinteren Gegenstandes auf der rechten Seite vor allem als Sessel identifizierbar aufgrund der Nachbarschaft der anderen Gegenstände, die wir als solche lesen, denn der Blickwinkel darauf ist so gewählt, dass die Form unter der Draperie auch etwas anderes beschreiben könnte. Auf die Frage nach der Vorlage erwidert der Künstler, es handle sich um eine Komposition, in der teilweise reale Vorbilder und teilweise Fotografien Verwendung fanden, was auch an den unterschiedlichen Schatten, welche die Objekte in verschiedene Richtungen werfen, bemerkbar sei. Er habe Falten studiert: Ihr Verhalten, die abstrakte Ausdrucksqualität ihres Formenspiels, ihre körperhafte Dreidimensionalität habe ihn lange beschäftigt. Es gehe um Falten ohne narrativen Zusammenhang, um den Faltenwurf, der keine skulptierte Heiligenfigur mehr umspielt, sondern für sich steht.1
Bei einem Atelierbesuch 2014 hing nicht weit von diesem Bild an einer anderen Wand eine einfache schwarzweiße Kopie des Gemäldes Die Große Badende von dem französischen Klassizisten JeanAugusteDominique Ingres aus dem Jahre 1808. Von den Rändern ausgehend, war das Blatt derart gefaltet, dass sich das Motiv zu einem Detail von Kopf und Schultern verkleinert hatte. Den Künstler interessierte nicht das Hauptsujet – der weibliche Akt –, sondern ein Detail, eine scheinbare Nebensache: das Tuch auf dem Kopf. Er habe sich viel mit dem Theater und dem Vorhang beschäftigt und beobachte nun unterschiedliche Weisen, wie Stoffe in der Malerei vorkommen. In diesem Bild habe das Tuch ein eigenes Volumen. In seinen Bildern erprobe er die Möglichkeit, dem Stoff eine Art von Eigenständigkeit zu verleihen.2
Drago Persic führt uns die visuelle Fülle einer Materialeigenschaft vor, und dies auf so virtuose Weise, dass nur noch ein vages Gefühl uns mitteilt, dass hier sehr oft doch dasjenige unter der Draperie, das Gestalt verleiht, fehlt oder, im Falle der Sessel, die der Künstler auch als „Stellvertreter gleich Schauspielern auf einer Bühne“ bezeichnet hat,3 nicht immer unbedingt eindeutig gelesen werden kann. Wir sehen vielmehr das als reines Formenspiel, was uns sonst den Blick auf eben ein Darunter verweigert, freigibt oder diesen überhaupt erst auf sich zieht. Das voyeuristische Begehren, das diesem Spiel so gerne folgt, wird enttäuscht und auf das Darüber verwiesen. Was sich unter den gemalten Tüchern befindet, entzieht sich der Bestimmung – durch das Auge, die Sprache, die Bezeichnung. Als formalabstrakte Problematik wird das Verhältnis von Körper und Tuch ohne menschliche Figur verhandelt, denn es ist selbst mehr oder weniger körperhaft. Und wo die mimetische Präzision der korrekten Schilderung ausweicht, gerät die fixe Zuordnung ins Wanken, bemerken wir erst die Undurchdringlichkeit des Sichtbaren, die gleichzeitig Empfindungen des Schönen und des Unbehagens auslöst.
2 Aus der Erinnerung an ein Gespräch mit Drago Persic im Sommer 2014.
3 Ebd.
UNDERNEATH THE DRAPES
ON CORPORALITY AND FABRIC IN DRAGO PERSIC’S PAINTINGS
The relationship between the body and cloth, the figure and fabric, man and clothing is multifaceted. Throughout art history, these relationships have often served as criteria of style and indicators of chronology, rendering it possible to classify works of art by period and geography. The significance borne by the distance and/or proximity between a body and the overlying cloth—how tightly a piece of fabric covers a body, whether it renders the anatomy it sheaths visible or takes on a shape of its own, whether a dress traces a figure in a lively way, adapts thereto, emphasizes it, or even takes on a life of its own (be it the assertion of its own shape in the form of a static block or dynamic swirls)—has a great deal to do with the assignment of an image to a cultural sphere, an epoch, or to the study of humanities and sociopolitical issues. Drago Persic’s paintings demonstrate a remarkable finesse in this regard, and refer to the ambivalences that present themselves when the subject becomes the draping of the body itself. Although draped human bodies are not the primary subject of Persic’s paintings, the artist plays with fabric as a compositional theme as well as with the relationship between what is visible, analogous, and/or readable when applied to the human body, even though—or perhaps precisely because—the human body is largely absent from his work. Persic investigates the autonomy of a painted image that is in perpetual conflict with trompe l’oeil’s ability to construct representation within contemporary art, a subject he takes on with a somewhat anachronistic attitude in all nuances of his black white grey palette. Perhaps it is a celebration of loss that makes his painting so desirable, and from which he continues to draw an as yet unexploited and rich supply of allegorical images.
In his 2012 painting Ohne Titel, (p. 22 / 23) we see four chairs situated within a white void, each draped with a piece of fabric: the monochromatic swathes reveal only a vague shape, denying us a direct look at the objects they cover. Upon closer inspection, the rearmost object on the right can be identified as a chair only as a result of its proximity to the other objects, which are clearly identifiable as such. The artist, however, chose an angle that could suggest the shape underneath the sheet being something else. When asked about the source of the image, he reveals that it is based on a composition created from a combination of objects and photographs, which could also be discerned from the various shadows cast into different directions. Drago Persic studies folds: their behavior, the abstract, expressive qualities of their morpho logy, and their corporal three dimensionality have occupied him for some time. He is interested in folds without narrative context, in fabric folds that no longer cover the body of sculpted holy figure, but stand for themselves.1During a 2014 studio visit, a simple black and white copy of the 1808 painting The Valpinçon Bather by French classicist Jean Auguste Dominique Ingres hung on a wall adjacent to the painting previously discussed. The copy of the painting was folded in from the edges so that all that was visible was a detail, a section showing a head and shoulders. Persic wasn’t interested in the actual subject—the female nude—but but rather in an apparently incidental detail: the cloth on her head. In the past, the artist had been preoccupied with the theater and the curtain, this preoccupation has now shifted to the various ways fabric appears in painting. The fabric in this specific painting gains a volume of its own. Throughout his oeuvre, Persic tests the boundaries of allowing fabric to become an independent entity.2
Drago Persic presents us with the full visual scope of a material characteristic in so virtuosic a manner that only a vague feeling informs us of the shapegiving objects underneath the sheets of fabric being missing, or—in the case of the chairs, which the artist has also referred to as “standins, like actors on a stage,”3 —cannot always be clearly read. What we are faced with, instead, is a pure play on forms, giving shape to the very objects the draped fabric denies us access to, covers, or shrouds. Potential voyeuristic desires conjured up by this game are left unsatisfied, and we are referred back to the covering element. Sight, language, and the powers of description are incapable of determining what lies beneath the painted sheets. Persic addresses the formalabstract problem of the relationship between body and fabric without including the human figure in his work, as this relationship more or less takes on a corporeality of its own. And where mimetic precision evades precise description, clear classifications become unsteady, leading us to notice the impenetrability of what is visible, and allowing us to simultaneously perceive the beautiful and the uncanny.
2 From memory of a conversation with Drago Persic in the summer of 2014.
3 Ibid
Published 2017
Towards an as yet unknown denouement
ISBN 978-3-903153-61-5